Design follows Availability. Das Material kommt zuerst.

Re-Use als Haltung statt als Ausnahme: Pascal Hentschel und das Planungsbüro Zirkular machen vor, was in der Baubranche möglich ist. Ein Haus im Lysbüchel zeigt eindrücklich, wie Häuser anders geplant werden können.

Unser Kreislauf-Kopf des Monats, Pascal Hentschel, will mit alten Bauteilen nicht einfach Ressourcen sparen, sondern eine grundsätzliche Veränderung anstossen. Statt Abbruch und Ersatz setzen er und sein Planungsbüro auf Wiederverwendung – ganz praktisch, ganz konsequent. Die Haltung dahinter ist klar: „Wir müssen die Werte, die schon da sind, besser nutzen.“

Material ist vorhanden – Qualität auch

Das Planungsbüro Zirkular bietet Fachplanung für kreislaufgerechtes Bauen an, es ging aus dem Baubüro in situ hervor – dort hatte sich der Geschäftsführer und Mitgründer Pascal Hentschel fürs Thema Wiederverwendung begeistert.

In der konventionellen Baupraxis erlebt der Architekt immer wieder dasselbe Muster: Bestehende Gebäude, die nicht mehr der ursprünglichen Nutzung dienen, werden abgerissen statt umgenutzt. Bei der Planung von Bauten dominieren normierte Standards, die Spielräume zum Einsatz von Re-Use-Elementen sind gering.

„Es fehlt an Anreizen, aber nicht an Material“, sagt Pascal Hentschel. Dabei steckt in gebrauchten Bauteilen zum einen oft mehr Qualität als in Neuware, zum anderen transportieren sie Geschichte – und notabene ist so auch erhebliche CO₂-Ersparnis realisierbar.

Ein Wettbewerb als besondere Challenge

Als die Stiftung Habitat den Wettbewerb für das letzte Gebäude auf dem Lysbüchel-Areal in Basel ausschreibt, macht sie Nachhaltigkeit zur Pflicht – und Re-Use ist explizit gewünscht.

Das Architekturbüro Loeliger Strub gewinnt den Wettbewerb mit einem mutigen Ansatz: Sie planen ihr Projekt mit Bauteilen aus einer abzubrechenden Siedlung in Luzern – bevor diese überhaupt rückgebaut ist. Zirkular steigt nach dem Wettbewerb ins Team ein. Die Aufgabe:
Materialpotenziale analysieren, Bauteile beschaffen, Logistik und Lagerung koordinieren.

Aus der Not entsteht ein neuer Beruf

Schnell zeigt sich: Das ursprünglich geplante Material ist nicht rechtzeitig verfügbar. Pascal Hentschel und sein Team starten eine gezielte Suche – mit einer neuen Rolle, sogenannte Bauteiljäger:innen streifen durch Rückbaustellen und spüren geeignete Materialien auf. Dieser Job führt immer mal wieder zu unkonventionellen Begegnungen. „Bevor wir unser grosses Netzwerk an Abbruch- und Bauunternehmen sowie Logistikfirmen aufgebaut hatten, mussten wir manchmal einfach in eine Baustelle reinlaufen und fragen: Was passiert mit diesen Fenstern?“ erzählt Pascal Hentschel schmunzelnd. 

Zirkular war erfolgreich auf der “Jagd”, heute steht im Lysbüchel ein Mehrfamilienhaus, in dem jede Menge Geschichte steckt. Auffallend ist die Fassade aus gebrauchten Ziegeln – weniger augenfällig sind zum Beispiel Geländer-Elemente, die aus einem Zürcher Gefängnis stammen. (Mehr Bauteile mit faszinierender Geschichte siehst du in unserem Video-Spotlight.)

Innovation: Planung umdrehen – mit System

Der grösste Umbruch liegt für Hentschel nicht im Material selbst, sondern im Prozess. Bauen nach Re-Use-Prinzipien verlangt eine radikal andere Logik – und Menschen, die bereit sind, diesen Weg zu gehen. Ohne frühe Weichenstellung geht nichts. Sprich: Bei der Planung eines Bauprojektes müssen die Auftraggeber:innen bereit sein, die Planung mit dem vorhandenen Baustoff zu starten. Der wichtigste Grundsatz beim zirkulären Bauen ist denn auch “Design follows Availability”, die Planung richtet sich nach dem vorhandenen Material, nicht umgekehrt. 

Eine wesentliche organisatorische Challenge ist danach die Aufbewahrung. Anders als bei einer herkömmlichen Materialbestellung auf den gewünschten Zeitpunkt, müssen die aufgespürten Bauteile oft noch über einige Monate oder gar Jahre eingelagert werden.

Der Aufwand dafür lohnt sich: Mit frühzeitiger Planung kann statt Patchwork ein ästhetisch stimmiges Wohnhaus entstehen, das ganz selbstverständlich gebrauchte Bauteile als Basis hat und deren Geschichte in sich trägt. Gestaltungsanspruch und Re-Use sind kein Widerspruch.

Mut zahlt sich aus

https://youtu.be/yM5geXcbFxc?si=m5uAQIz5cfPLtvnvDas Wohnhaus auf dem Lysbüchel-Areal (schau dir das Video über dieses Projekt an) ist der Beweis, dass Wiederverwendung im Bau nicht nur ökologisch sinnvoll ist – sondern auch ästhetisch und ökonomisch überzeugt.

Was Zirkular mit dem Planungsteam hier gelang:

  • Wiederverwendung von gebrauchten Stahlküchen, Ziegeln, Holzdecken, Fassadenplatten u.v.m.
  • Verzicht auf konventionelle „neue“ Materialien
  • Weniger graue Energie durch den Einsatz von optimierten Baustoffen, wie Lehm und Holz
  • Ästhetisch überzeugende Integration von Re-Use-Bauteilen
  • Ein Pilotprojekt mit Signalwirkung für Planende, Bauherrschaften und Politik

„Ich bin sehr stolz. Nicht nur, weil das Gebäude gelungen ist – sondern weil es zeigt, dass es funktioniert”, sagt Pascal Hentschel im grünen und lebendigen Innenhof der Siedlung mit Blick auf das Haus, in dem längst alle Wohnungen vergeben sind.

Klare Haltung statt Kompromiss

Für Pascal Hentschel ist Re-Use beim Bauen mehr als eine Option von vielen – es ist eine Frage der Haltung. Er will nicht warten, bis Märkte und Normen perfekt sind. Sondern heute schon zeigen, dass Kreislaufwirtschaft bereits funktioniert – wenn man den Mut hat, alte Prozesse zu hinterfragen und Projekte anders zu planen. Dabei besinnt er sich auf das Vorhandene: „Wir müssen nicht alles neu erfinden. Wir müssen nur erkennen, was schon da ist – und es wieder wertschätzen.“

Mehr über das Projekt erfährst du in unserem Spotlight:

Zur Webseite der Zirkular AG geht’s hier.

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